Wenn ich Leuten erzähle, dass ich eine Turngruppe für geistig behinderte Erwachsene leite, werde ich oft belächelt. In solchen Momenten frage ich mich immer, was wohl daran so lustig ist – ich und Turnen oder Behinderte und Turnen? Vielleicht beides, ich weiss es nicht.
Ja, ich bin nicht unbedingt die Sportlerin, das ist wahr. Und in dieser einen Stunde pro Woche geht es mir auch nicht wirklich um meine eigene Bewegung, viel eher geht es mir um die Bewegung anderer. Aber wer denkt, dass dies schön gemütlich ist, hat sich getäuscht, denn es ist ziemlich herausfordernd. Die Individualität der Menschen wird mir hier immer wieder bewusst, da die unterschiedlichen Bedürfnisse und Eigenschaften viel deutlicher und ausgeprägter zu spüren sind.
Vor anderthalb Jahren habe ich in einer Ausschreibung gelesen, dass insieme Baselland für ein Herbstlager noch eine Betreuerin oder einen Betreuer sucht. „insieme“ – kommt euch das irgendwie bekannt vor? Nein, es handelt sich dabei nicht um das gescheiterte IT-Debakel des Bundes; der Verein insieme kümmert sich in unserem Kanton schon seit 50 Jahren um ein attraktives Freizeitprogramm für behinderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Ferien auf dem Bauernhof, Sportlager, Bastelgruppen, Turngruppen, Schwimmunterricht – das Angebot ist vielfältig.
Durch die Lagerausschreibung kam ich erstmals direkt in Kontakt mit dieser wunderbaren Vereinigung. 24 ehrenamtliche Leiterinnen und Leiter, welche ohne Berührungsängste eine Woche lang dafür sorgen, dass 48 Betreute ganz besondere Ferien geniessen können.
Nach dem Lagerleiten habe ich begonnen, in der Turngruppe mitzuhelfen. In einem Zweierteam leiten wir die ungefähr 15 Erwachsenen an, sich einmal in der Woche ihren Fähigkeiten entsprechend aktiv zu bewegen. Dabei ist es uns wichtig, dass alle auch individuell gefordert werden.
Die Arbeit mit den Behinderten gibt mir viel Kraft für die ganze Woche. Denn hier erlebe ich eine Stunde des Zusammenseins – ohne jeglichen Zeitdruck. Ein Leben im Moment. Die herzliche und direkte Art der Betreuten ist ganz besonders. Etwas, was man sonst nicht unbedingt tagtäglich erlebt.
Ich erlebe immer wieder Menschen, welche betreten wegschauen, wenn Leute mit einer Behinderung in der Nähe sind; ganz nach dem Ausdruck „Das geht mich nichts an, damit will ich nichts zu tun haben!“. Und es stimmt: Es ist unangenehm, mit härteren Schicksalen konfrontiert zu werden, zu sehen, dass es nicht allen so gut geht wie uns. Man bekommt irgendwie ein schlechtes Gewissen.
Doch Wegschauen und Gewissensbisse haben ist nicht die Lösung! Wir müssen gerade das Gegenteil tun: Hinschauen, helfen und dazu beitragen, dass jeder Mensch ein möglichst erfülltes Leben führen kann.
Mit meiner Arbeit bei insieme setze ich mich dafür ein, dass schwächere Menschen genauso ihren Platz in der Gesellschaft finden können und nicht benachteiligt werden. Dazu gehört auch, dass wir nicht auf ihre Kosten sparen dürfen; wir müssen investieren in soziale Institutionen, welche sich für ein breites Angebot für alle einsetzen. Denn eine lebendige Gesellschaft wird bereichert durch die Vielfalt der Menschen!
Sorgen wir dafür, dass unser Kanton sich weiterhin bemüht, eine Infrastruktur bieten zu können, welche allen gerecht wird!
Für alle statt für wenige!